Eigene Grenzen wahrnehmen und bewahren

Warum es für Eltern, aber vor allem für Kinder so wichtig ist.

Ich liege neben dir und streichle sanft deinen Arm. Ich höre wie sich dein Atem verlangsamt und du schön langsam in den Schlaf gleitest. Ein lautloser Seufzer entweicht meinen Lungen. Endlich. Heute hat deine Einschlafbegleitung wieder einmal besonders lange gedauert. Du bist immer wieder aufgestanden, dir sind noch so viele Dinge eingefallen, die du unbedingt brauchst, bevor du schlafen gehen kannst. Zur Ruhe zu kommen fiel dir heute besonders schwer. Du warst Sekunden vor dem Einschlafen noch in Bewegung, bis dein Singsang dich letztendlich doch ins Land der Träume geführt hat.
Ich kann nicht mehr. Der Tag war lang und anstrengend. Dieser Moment ist der erste des Tages, an dem ich wirklich Verschnaufen kann. Es ist als würde eine große Last von meinen Schultern fallen. Erst jetzt bemerke ich, wie angespannt ich war. Ich konnte dich heute nicht so geduldig und liebevoll beim Einschlafen begleiten, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich war voller Ungeduld, unbewusst schwangen stets Gedanken mit wie: „Bitte schlaf endlich. Ich bin müde. Ich kann nicht mehr. Ich will auch ein bisschen Zeit für mich haben. Ich brauche zumindest ein paar Minuten des Tages, die mir gehören.“
Als ich auf Zehenspitzen dein Zimmer verlasse und behutsam die Türe schließe, packt mich plötzlich das schlechte Gewissen. Darf ich diese Gedanken überhaupt haben? Immerhin hast du mich heute Abend wirklich gebraucht. Dein Bedürfnis war Nähe, Aufmerksamkeit, Verbundenheit. Ob du wohl gespürt hast, dass ich insgeheim lieber draußen gewesen wäre und eine Zeitschrift durchgeblättert hätte, die schon seit Tagen unbeachtet auf dem Wohnzimmertisch ihr Dasein fristet, anstatt dich eineinhalb Stunden in den Schlaf zu begleiten?

Die Antwort ist simpler als die Umsetzung. Ja! Ja, all deine Gedanken sind nachvollziehbar und verständlich. Ja, dein Kind hat es vermutlich gespürt, dass du angespannt bist, unbedingt möchtest, dass es jetzt schnell einschläft. Ja, das hat auch mit dazu beigetragen dass es heute besonders herausfordernd war. Und ja, es ist wichtig, dass du deine Grenzen wahrnimmst, sie verbalisierst und bewahrst.

Die Idee, den ganzen Tag zu funktionieren und ständig für alle anderen da zu sein, die Bedürfnisse aller anderen zu wahren und damit glücklich und zufrieden zu sein, ist illusorisch. Auch du hast deine Grenzen und es ist wichtig, dass du diese auch kennst. Wie oft gehst du täglich über sie hinweg? Spürst du es im Vor- oder erst im Nachhinein, wenn es bereits zu spät ist?

Dabei haben unsere eigenen Grenzen eine wesentliche Funktion. Sie schützen uns vor Überreizung, Überforderung und Frustration. Sie ermöglichen uns Geduld aufzubringen, wenn diese erforderlich ist, und bewusst für uns einzustehen bzw. auch mal Zurückzustecken, in dem Bewusstsein, dass es ein Geben und Nehmen ist. Es ist also nicht nur für dich, deinen Gemütszustand und dein Empfinden von großer Bedeutung zu wissen, wo dein Limit liegt, sondern auch für deine Beziehungen. Kinder lernen durch die Verhaltensweisen ihrer Bezugspersonen. So auch die Emotionsregulation und Frustrationstoleranz. Du tust deinem Kind also keinen Gefallen damit wenn du deine Bedürfnisse ständig übergehst, um die aller anderen zu wahren. Zum Einen lernt dein Kind somit, dass Fremdbedürfnisse über die eigenen gestellt werden und zum Anderen tut es sich schwer, authentische Gefühle zu erkennen, richtig zuzuordnen und einen angemessenen Umgang damit zu erlernen. Kinder sind sehr feinfühlig und spüren ganz genau. Meist, bevor wir Eltern es wahrnehmen. Wenn du deinem Kind also „vorspielst“ alles sein in bester Ordnung, deine Körpersprache, deine Stimmlage und dein Verhalten aber etwas anders signalisieren, erschwert das deinem Kind Gefühle und dazugehörige, passende Verhaltensweisen richtig einzuordnen.

Sei lieber authentisch und fasse in Worte was gerade in dir vorgeht. Nimm dich aus der Situation, wenn du die Möglichkeit dazu hast und eine andere Bezugsperson übernehmen kann. Das ist natürlich nicht immer machbar, darum ist es umso wichtiger in Kontakt mit deinem Kind zu treten und zu beschreiben was gerade passiert. Zum Beispiel:

  • Das war heute ein sehr aufregender Tag für dich und weil es so schön war, wünschst du dir, dass dieser Tag niemals endet, oder? Das kann ich gut verstehen.

  • Mir hat heute besonders gut gefallen dass wir gemeinsam das neue Spiel ausprobiert haben. Trotzdem ist es wichtig, dass du jetzt schlafen gehst.

  • Ich bin schon sehr müde und brauche Erholung

  • Damit wir morgen neue Abenteuer erleben können, ist es wichtig dass wir den Tag jetzt schön langsam ausklingen lassen

  • All deine Fragen sind sehr interessant, die heben wir uns auf und morgen Früh beantworte ich sie dir gerne

  • Ich kann leider  nicht mehr so geduldig sein, wie ich es gerne wäre, darum gehe ich jetzt hinaus und XY kommt zu dir.

Es ist wichtig, dein Kind dabei zu unterstützen Gefühle, Bedürfnisse und Empathie zu spüren, erkennen, richtig zu deuten und zu verstehen.  Das tust du, indem du dein Kind teilhaben lässt an dem was dich berührt. In kindgerechte Worte fasst, warum es dir gerade so geht und weshalb es dir wichtig ist, dass ihr darüber sprecht.
Geh dabei nicht zu hart mit dir ins Gericht; wenn du es ein- von vier Malen schaffst deine Grenzen zu wahren und für sie einzustehen, ist das wunderbar. Essentiell ist, dass du dir deine Grenzen und deren Überschreitung bewusst machst. Dich ab und zu bewusst dafür entscheidest, anstatt unbewusst in Frustration zu schlittern, die dir und deinem Umfeld nicht gut tut.

Achte auf dich und schenke auch dir einen bedürfnisorientierten, liebevollen Blick.

Sei die LieblingsMAMA die du sein willst!

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